Hanna Petermann ist zuletzt vor zwei Jahren bei uns gewesen und hatte uns damals florale Stillleben und Bilder zu Musikerinnen und Musikern mitgebracht. Auch 2019 begleitet sie und uns dieses Thema weiter, denn sie ist auch immer noch Musikerin und Wanderin zwischen den Kreativwelten.
Weitergeführt hat sie ihren Umgang mit den Themen “Fokus” und “Konzentration”. Es gibt in ihren Bildern ein zentrales Motiv und alles Andere löst sich dann zumeist im Ungefähren auf.

Der Bassist zum Beispiel. Das Licht liegt hinter und auf ihm. Während wir unseren Blick auf ihn ziehen lassen, hat er die Augen geschlossen, ist ganz versunken in sein Spiel. So wie auch die Umgebung, in der er es tut, versunken ist.
Wir sehen und fühlen Hingabe, Konzentration und Liebe für das, was er dort tut. Er spielt mit anderen und gleichzeitig für sich selbst. Die Zuhörenden sind dann wir selbst, ohne dass der bassist uns sehen kann.
Die Themen Hingabe, Konzentration und Liebe für das, was man gerade tut, findet sich auch wieder in den Studien zu den Jazz-Bands.

Erstmalig gibt es eine erkennbare Gruppe als Motiv und niemand sticht einzeln daraus hervor. Anders als die anderen Musikerbilder werden diese nicht nach einzelnen Instrumenten benannt, sondern gleich nach einem ganzen Musikstil.

Jazz lebt von Improvisation, Zusammenspiel und Phantasie. Und diese Bilder vom Jazz tun es auch. Die Gesichter sind vage, die Körper eher skizziert, aber Licht und Schatten sind wieder kraftvoll gesetzt.
Wir können gespannt sein, ob dieser Studie noch weitere Ausarbeitungen folgen werden.
Vielleicht ist das Bild in seiner Jazzigkeit aber auch einfach schon fertig?
Das ist wahrscheinlich – nach dem eigentlichen Beginn eines Malens, der wohl zweitgefährlichste im Malprozess. Wann weiß man denn als Künstlerin, wann das Bild fertig ist? Ab wann kann man nichts mehr hinzufügen oder auch nur nicht noch weniger weglassen?
Der Lebens- und Entwicklungszyklus von der Skizze, über die Studie und weiter zum ausgearbeiteten Bild ist etwas, an dem Hanna Petermann uns teilhaben läßt. Und von jeder Evolutionsstufe eines Bildes geht ein besonderer Zauber aus, eine bestimmte Energie. Daran teilhaben zu können ist ein Geschenk.

Um virtuos Musik machen zu können, braucht es viel Disziplin, Übung und an manchen Tagen auch einfach nur Überwindung. Das alles braucht es für jede Tätigkeit, in der man Meisterschaft erlangen will.
Und damit kommen wir zu einer Abteilung in dieser Ausstellung, die bei mir das größte „Hä?“ ausgelöst hat.
Wie und worin läßt sich die Brücke schlagen zwischen versunken Musiker*innen und dicken, kämpfenden Männern in windelartigen Tüchern??
Ich wusste es zunächst nicht und musste aus meinem engen Korsett aus Vorurteilen heraustreten, indem ich mich mit den Sumo-Ringern beschäftigte.
Ich lernte dabei einiges und erwischte mich dabei, wie ich die kleinen Videos zu großen Kämpfen mit zunehmender Spannung verfolgte.
Auch Hanna Petermann erlag der Faszination. Sie beschreibt es selbst so:
„Bei den Sumos faszinieren mich einerseits die Hintergründe, die Rituale des Trainings und des Sumokampfes, die Lebensweise der Sumotori etc. In diesen Ritualen zeigt sich eben auch eine starke Konzentration, Ernsthaftigkeit und Verbundenheit mit der Tradition. Und natürlich bieten Sumoringer optisch sehr viel. Mit ihren Frisuren, den strengen Haarknoten und den schwarzen Gürteln( Mawashis) und natürlich ihren koloss-artigen Körpern, die trotz ihrer Wuchtigkeit so elegante und geführte Bewegungen vollbringen.“

Die Konzentration und Ernsthaftigkeit bei den Sumo-Ringern beginnt oft schon als 15-jährige Teenager, wenn sie den sogenannten Stall einziehen. Fortan leben die jungen Männer dort und lernen innerhalb strenger Rituale, was man als Sumoringer braucht.
Sie schulen ihre Kampftechniken, von denen es 82 Griffe gibt und sie vergrößern ihre Leibesfülle, die ein Garant für Standfestigkeit sein kann. Ein Gewicht um die 150 kg pro Kämpfer sind keine Seltenheit. Und dennoch sind die Ringer beweglich und flink, verfügen gleichzeitig über hohe Explosivität und Kraft und die meisten können sogar Spagat.

Sie sind innerhalb der Gesellschaft angesehene Sportler, viele von ihnen sogar Stars.
Der ganze Sport hat sogar tiefe, spirituelle Wurzeln.
Die ersten Kämpfe fanden vor 2.000 Jahren zu Ehren der Shinto-Götter statt und noch heute nehmen zeremonielle Einmärsche und religiöse Rituale auf den Turnieren die meiste Zeit in Anspruch. Die Kämpfe selbst dauern durchschnittlich unter zehn Sekunden.
Der Sieger darf nicht jubeln. Der Verlierer sich nicht beschweren. So wichtig wie die körperliche ist moralische Standfestigkeit. Ein Sumoringer muss hinkaku zeigen. Würde.

Wer so leben will und sich ständig verbessern muss, egal, zu welchen Opfern, braucht Hingabe an das, was er tut. Es braucht Konzentration, ein echtes Ziel.
Und hier haben wir dann die Parallele zu den anderen Bildern und zu dem Wirken der Künstlerin selbst, denn das Zwiegespräch zwischen Künstlerin und Bild braucht ebenso Konzentration, Hingabe und Durchhaltevermögen. Ein Scheitern ist möglich, ein „Sieg“ aber natürlich genauso.

Auch an diesem Prozess lässt Hanna Petermann uns teilhaben. In einem Text auf ihrer Webseite nimmt sie uns mit in ihr Atelier:

„Ich zögere. Muss wieder meine Angst zu scheitern überwinden. Sie ist neben meiner Euphorie leider auch ein ständiger Begleiter.
Ich krame noch einmal in meinen Zeichnungen und entdecke die Pinselzeichnung, die ich von der Cellistin gemacht habe. Mir gefällt diese Technik. Das Papier hält jeden einmal gezogenen Strich unkorrigierbar fest. Das erfordert eine sehr rasche und konzentrierte Arbeitsweise. Ein Strich zuviel und der Zauber ist dahin. So bleibt das Motiv skizzenhaft, vieles nur angedeutet.
Ich verehre die asiatischen Tusche-Maler. Ihre Bilder und Zeichnungen sind von solcher Schlichtheit und handwerklich vollkommen. Alles Überflüssige ist weggelassen, der Blick auf das Wesentliche gelenkt. Man hat den Eindruck als hätten sie das Bild in ihrer Vorstellung bereits vollendet, ehe sie den Pinsel aufs Papier setzen.“

Möglicherweise ist es folgerichtig, dass die Pinselzeichnungen, die uns Hanna auch mitgebracht hat, irgendwann zu den Sumo-Ringern führen musste.
Sowohl Technik als auch Motiv entstammen schließlich einem Kulturkreis. Und sowohl Hanna Petermann als auch die Sumo-Ringer kämpfen darum, im Ring, bzw. Leinwand zu bleiben. Am Ende sieht beides leicht aus, ist aber Ausdruck höchsten Könnens.

Ein letztes Bildthema möchte ich noch erwähnen und zwar die für mein Empfinden Wortreichsten.
Ich kenne niemanden, der so lebendige Schuhe malen kann wie Hanna Petermann. Oder Spiegeleier, Mandarinen, rote Beete, Kuchen und Karotten.
Gerade die Karotten sind so plastisch geraten, dass man sie beinahe als Ganzes in die Suppe werfen könnte.
Man könnte die Stillleben umschreiben mit dem sehr berühmten Satz aus dem Musical (schon wieder Musik) „Der Zauberer von Oz“:
„Es ist nirgendwo so schön wie daheim“ .
Hanna Petermann ist auch Meisterin von Alltagsgeschichten mit Alltagsgegenständen. So wie sie eben überall bei uns herumstehen oder aus der Einkaufstasche purzeln.
Manche finden Alltag langweilig, aber tatsächlich gibt er uns und unserem Leben Struktur, es ist Vertrautheit darin und Sicherheit. Alles Elemente, die uns eine feste Basis geben, um dem Leben mit Zuversicht begegnen zu können.
Es ist ganz egal, was da draußen passiert. Wenn ich zurückkomme, wartet zu Hause mein vertrautes Chaos, meine Gummistiefel sind da, ich bin gewappnet. Und ich werde Spaß haben im nächsten Regen, werde durch Pfützen springen, weil ich es kann.
Hier tun sich ganze Geschichten aus, die man hinter den Bildern sehen kann. Sie sind Schaufenster in eine andere Welt, nicht nur Abbild arrangierter Gegenstände.

Ich mache einfach mal ein paar Vorschläge zu dem Bild auf der Einladungskarte und vielleicht spinnen Sie die Geschichte dahinter einfach weiter:
Beide Paar Schuhe scheinen dieselbe Größe zu haben. Sie sind sauber, es scheint, als würde das Abenteuer noch kommen, das ihnen noch Dreck und Schlamm zufügen wird.
Das blaue Paar Schuhe hat Sohlenkontakt zu dem einen Stiefel. Was spricht es? Ist es eine Bremse im Sinne von „Du kommst hier nicht weg?“ Oder mehr ein „Wie schön, dass Du da bist, ich lehne mich an?“
Wem gehören die Schuhe? Was wird als nächstes passieren? Was ist Ihnen passiert, als Sie das letzte Mal Gummistiefel getragen haben? Erzählen Sie jetzt Ihren Stehnachbarn davon.
Und nun wünsche ich viel Vergnügen beim Rundgang. Die Künstlerin ist anwesend und freut sich auf Sie.

(Maike Brzakala, Sept. 2019 für die Galerie Göldner)

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